Nach §35a SGB VIIII, ICD-10 besteht eine Lese-Rechtschreibstörung, wenn im Intelligenztest ein IQ größer als 70 (durchzuführen z.B. vom Kinder- u. Jugendpsychiater, Schulpsychologen o.ä.) und im Rechtschreibtest ein Prozentrang von kleiner als 10 erreicht wird. Es muss eine Diskrepanz von 12 T-Wert-Punkten bzw. 1,2 Standardabweichungen zwischen beiden Testergebnissen bestehen.LRS ist also eine Leistungsstörung, welche im Rahmen des konventionellen Lese- und Rechtschreibunterrichts zu einer Stagnation des Lernprozesses führt, während in anderen Leistungsbereichen primär dem Intelligenzniveau des Kindes entsprechende Leistungen erzielt werden.
Im englischsprachigen Raum wird von der „developmental dyslexia“ gesprochen.
Die Entwicklungsdyslexie und -dysgraphie meint eine schwere Störung des Schriftspracherwerbs unabhängig von intellektuellen, kulturellen und emotionalen Verursachungsfaktoren. Entwicklungsdyslexie und -dysgraphie ist ein international gebräuchlicher Begriff. Dyslexie steht für Lesestörung und Dysgraphie bzw. Dysorthographie für eine Rechtschreibstörung.
Der Begriff Legasthenie ist eng verbunden mit der Diskrepanz-Definition aus den 60-70er Jahren. Es wurde getrennt zwischen Schülern mit isolierter Legasthenie (wenn der IQ mindestens größer 85 war und der Rechtschreibtest einen Prozentrang von kleiner als 15 aufwies) und anderen Kindern mit Lese-und Schreibproblemen. Nur die Kinder mit einer „echten“ Legasthenie wurden gefördert und erhielten zusätzlich Notenbefreiung. Diese Trennung stellte sich als unsinnig heraus und wurde bald aufgehoben. Dieser vorbelastete Begriff sollte nicht weiter benutzt werden. Er trug wenig zur Entwicklung von Behandlungsansätzen noch zu Ursachenbeschreibung bei und führte eher zur Verunsicherung der Eltern und Lehrer.
Generell ist von einem multifaktoriellen Bedingungsgefüge auszugehen.
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Die traditionelle Legasthenieforschung geht von einer allgemeinen Entwicklungsstörung der visuellen bzw. der auditiven Wahrnehmung aus sowie der Motorik bzw. der sensorischen Integration.
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Neuere Untersuchungen nehmen als Ursache Störungen der Sprachentwicklung an. Eine nicht rechtzeitig vor der Einschulung überwundene SES kann auch als nicht hörbare Störung der Entwicklung des phonologischen Systems zu einer Schriftspracherwerbsstörung führen.
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Forschungsergebnisse der kognitiven Neuropsychologie und der Neurolinguistik zeigen auf, dass die Probleme weniger in der allgemeinen kognitiven Verarbeitung zu suchen sind (z.B. der visuellen Wahrnehmung und Differenzierung) als in der kognitiven Weiterverarbeitung auf sprachlicher Ebene. Die Entwicklungsdyslexie ist als Folge „zentraler sprachabhängiger Verarbeitungsprobleme“ (Frank R.Veluntino, 1987) zu sehen, die eine Übertragung der visuellen Information in einen sprachlichen Code erschweren.
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Warnke (1992) geht von einer möglichen Kombination von Dysfunktionen aus:
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Störung der räumlichen und /oder zeitlich sequentiellen Reizverarbeitung
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gestörte verbale Verarbeitungsmechanismen
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insgesamt verlangsamte Informationsverarbeitung
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Ellis und Young (1988) und Klicpera et al.(1993) fanden langanhaltende Leistungsschwächen im verbalen Kurzzeitgedächtnis, beim Wortabruf und bei der Phonemanalyse.
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Weitere Einflussfaktoren sind schulische Lernbedindungen, familiäre Unterstützung sowie individuelle kognitive Lernvoraussetzungen und Lösungsstrategien.
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im Vorfeld Auffälligkeiten während der Sprachentwicklung: auditive Differenzierungsschwäche (Laute können nicht gut unterschieden werden)
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Defizite in der Lautsynthese (das Zusammenziehen der Laute zu einem Wort gelingt nicht, es wird häufig buchstabiert)
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Defizite in der Lautsegmentierung (das Unterteilen eines Wortes in Silben und Laute fällt schwer)
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Verkürztes auditives Kurzeitgedächtnis
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Verkürztes visuelles Kurzzeitgedächtnis
- ADHS, ADS (Aufmerksamkeitsdefizit- (Hyperaktivitäts-)Störung)
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Auditive Durchgliederungsschwäche (z.B. Wörter können nicht aus Sätzen, Laute nicht aus Wörtern „gefiltert“ werden)
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Konzentrationsschwächen. Dies kann z.B. bei der Fehlerüberprüfung zum Problem werden: Obwohl das Kind die richtige Schreibweise kennt, übersieht es beim Überprüfen auf Grund zu geringer Konzentration den Fehler.
Basis der logopädischen Berhandlung ist eine umfassende logopädische Befunderhebung/Diagnostik. Schon hier muss differenziert werden können, ob es sich um eine LRS im logopädischen Sinne handelt, oder ob andere Verursachungsfaktoren (z.B. psychische Faktoren, Lernbehinderung u.a.) für die Lese-Rechtschreibprobleme verantwortlich sind.Eine ausführliche Anamnese, in die auch Arzt, Lehrer und ggf. Schulpsychologen einbezogen werden, ist ebenfalls Bestandteil der logopädischen Befunderhebung. Die o.g. möglichen Verursachungsfaktoren werden mittels standardisierter Tests und Screenings untersucht. Aus den Testergebnissen werden die Therapieschwerpunkte und -inhalte abgeleitet, zum Beispiel:
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Absolvierung eines speziellen Leselehrganges
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Übungen zur Verlängerung d. auditven und visuellen Merkspanne
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Verbesserung der auditven Wahrnehmung (z.B. Differenzierungsfähigkeit zwischen ähnlichen Lauten, langen und kurzen Vokalen)
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Verbesserung d. Fähigkeiten zur Sprachdurchgliederung
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Verbesserung d. Fähigkeiten zur Lautsynthese u. -segmentierung
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Erarbeitung von Regelwissen (z.B. Groß-, Kleinschreibung)
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Elternberatung
Besteht das Problem eher in der unzureichenden Kenntnis von Rechtschreibregeln, kann auch ein entsprechender Förderunterricht helfen, der ebenfalls in der Praxis angeboten wird.Die logopädische Behandlung kann unter bestimmten Voraussetzungen nach ärztlicher Verordnung (privat und alle Kassen), auf Selbstzahlerbasis oder über eine Kooperation mit dem Jugendamt (s.o.) erfolgen.
Wenn Sie Fragen zum Thema Lese-Rechtschreibstörung/Legasthenie haben, von Ihren Erfahrungen berichten möchten oder Beratung wünschen, schreiben Sie uns oder rufen Sie einfach an. Wir helfen Ihnen gerne weiter.